Erasmus+ Personalfortbildung: Intensivkurs Belfast – Mehr als nur Englischlernen

Dr. Cassis Kilian, FB 07 - Institut für Ethnologie und Afrikastudien

Belfast kannte ich nur aus dem Schulunterricht: der Nordirlandkonflikt war ein zentrales Thema in den 1970er Jahren. Als Dozentin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien verwies ich auf ihn, um Studierenden zu verdeutlichen, dass, was oft als „ethnischer Konflikt“ diskutiert wird, eben nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent virulent ist, sondern auch (und in zunehmendem Maße) in Europa. Ich weiß aber nicht, ob oder wann ich nach Belfast gekommen wäre, wenn dort nicht Ende Juli 2022 eine wichtige Konferenz unseres Faches stattgefunden hätte.

Immer wieder hatte ich überlegt, Lehrveranstaltungen auf Englisch anzubieten, traute mich aber noch nicht, deswegen wollte ich meine Teilnahme an der Konferenz mit einem Englischkurs kombinieren. Schon seit längerem hatte ich die Angebote zur Personalfortbildung studiert: War das Angebot zur Teilnahme an Englischkursen auf die vorgeschlagenen Kurse in den immer wieder erwähnten Städten beschränkt oder gab es die Möglichkeit, in einer anderen Stadt einen Kurs zu besuchen? Es gibt sie, sofern die Sprachschule die erforderlichen Unterlagen ausstellt und von der Abteilung Internationales als förderungswürdig erachtet wird.
Das International House Belfast wird vom British Council empfohlen und gilt mithin als geeignet. Die Schule konzentriert sich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und setzt daher auf Flexibilität im Angebot, andere Schulen sind eher auf das Ablegen einschlägiger Zertifikate fokussiert und arbeiten systematisch einen Lehrplan ab. Für mich, die ich seit Jahren auf Englisch publiziere und kein Zertifikat brauche, war das Konzept des International House ideal, um sicherer im Sprechen zu werden, zumal Ryan McFaul, einer der Lehrenden, auf meine thematischen Schwerpunkte, Ethnologie und Humor, eingehen konnte. Außerdem zeichnete sich dieser Lehrer durch profunde linguistische Kenntnisse aus − die anderen Dozierenden waren gut oder sehr gut, aber eben nicht herausragend.
In Belfast wird kein Oxford-Englisch gesprochen − ganz im Gegenteil, aber es ist sehr leicht, ins Gespräch zu kommen. Viele Menschen in Belfast wollen erklären, warum diese Stadt so anders ist als andere Städte in Großbritannien. Ja, es gibt schöne Gebäude dort, aber anders als in den vielen pittoresken Städten Großbritanniens sind Brachflächen dazwischen, unzählige leerstehende und ausgebrannte Häuser: Belfast ist nicht schön, Belfast ist faszinierend. Die Geschichte und die Politik manifestieren sich überall im Stadtbild, wie in Berlin – abgesehen von der Gentrifizierung in der deutschen Hauptstadt, ließe sich Belfast am ehesten mit dieser deutschen Stadt vergleichen.

Die Berliner Mauer ist gefallen, es stehen nur noch ein paar Reste − sie habe den Frieden gerettet, behauptete die DDR-Propaganda. Die Mauern in Belfast stehen noch. Sie heißen „peace walls“, Friedensmauern, und sie werden immer noch abends geschlossen – die staunenden Touristen können es den „black taxi drivers“, die sie als Zeitzeugen und Guides durch Belfast fahren, kaum glauben. Aber was meint Zeitzeugen hier, Zeugen einer abgeschlossenen Geschichte? Die Frage stellt sich hier immer wieder anders und neu. Die IRA und paramilitärische Gruppen der Gegenseite beschlossen 1994 einen Waffenstillstand und im Karfreitagsabkommen von 1998 wurde eine Friedensregelung getroffen − seither wurden zusätzliche „peace walls“ errichtet…
Man lernt in Belfast, komplexe Themen auf Englisch zu diskutieren, dass die Konfliktlinien nicht entlang der „peace walls“ verlaufen, dass die „murals“, die einzigartigen politischen Wandmalereien in Belfast, den Konflikt von verschiedenen Seiten beleuchten. Die „murals“ vergleichen den Nordirlandkonflikt mit anderen Konflikten der Vergangenheit, der kubanischen Revolution, der Kubakrise, dem Kampf Mandelas in Südafrika und aktuellen Konflikten, etwa dem in Palästina. Sehr viele „murals“ betrachten den lokalen Konflikt im Zusammenhang mit dem Thema ‚Postkolonialismus‘ und problematisieren den Kapitalismus. Belfast ist eine arme Stadt, die billigste Großbritanniens, nach deutschen Maßstäben ist sie dennoch teuer. Für die vielen Obdachlosen sammeln zahlreiche Charity-Organisationen.
In den 1970er Jahren sagte unser Lehrer, dass der Konflikt in Nordirland ein ökonomischer sei: die Katholiken seien arm und hätten mehr Kinder. Daher solidarisierten sich damals linke Gruppierungen mit der IRA. Aber es ist nicht einfach, hier die „good guys“ zu bestimmen − das martialische Pathos der „memorials“ verstört auf beiden Seiten: die Partisanensentimentalität genauso wie die demonstrativ mit dem Union Jack beflaggten Straßenzüge, die zahleichen Paraden. Auch die größte „Gay Pride“ Nordirlands fand statt, als ich da war; aber hier verlaufen Konfliktlinien wieder nicht so wie angenommen, denn diese Parade provoziert insbesondere protestantische Hardliner.
Wer sich für Streetart, neuere Geschichte und sozialwissenschaftliche Themen interessiert, lernt weit mehr als gemeinhin von einem Englischkurs erhofft. Neben den „murals“, wird auf den Hauswänden immer wieder für kostenfreie psychologische Beratungsstellen geworben. Die Selbstrate ist erschreckend hoch − das Trauma der „troubles“, sagen die Dozierenden des International House, so heißt der Nordirlandkonflikt hier; aber sie empfehlen auch Pubs, Biere, Whiskey und Ausflüge in die atemberaubend schöne Umgebung Belfasts. Hier wurde die Titanic gebaut, hier wurde „Game of Thrones“ gedreht.
Man kann den dunklen Seiten der Stadt aus dem Weg gehen. In dem Kurs auf C-2-Level, den ich besuchte, wollte das niemand. Die meisten waren Englischlehrer*innen, die anderen Studierende – alle waren wir wie hypnotisiert von dieser zwar deprimierenden, aber eben auch ungeheuer inspirierenden Stadt, die so ungeschminkt und lebendig ist. Wir wollen alle wiederkommen … Das nächste Mal fliege ich aber nicht, sondern fahre mit dem Zug bis Liverpool und steige dann auf die Fähre nach Belfast.