Erasmus+ Gastdozentur an der Universität Barcelona, 18.-21. März 2024

Dr. Tobias Christ, Gutenberg-Institut, Abt. Buchwissenschaft

Am Departament de Llengües i Literatures Modernes der Universität Barcelona werden sprach- und literaturwissenschaftliche Inhalte im Rahmen verschiedener Studiengänge vermittelt. Im Rahmen des von Dr. Rosa Pérez Zancas geleiteten Seminars „Literatura i Holocaust“ war ich eingeladen, den Studierenden sowie interessierten Gästen das spannende Thema „Widerständiges Schreiben und Publizieren unter der NS-Diktatur“ in spanischer Sprache näherzubringen.Da die Literatur der sogenannten ‚Inneren Emigration‘ im Gegensatz zur Exilliteratur im Seminar bisher nicht behandelt worden war, hatte ich eine umfassende Einführung in die politischen und buchhandelsgeschichtlichen Voraussetzungen von Literaturproduktion im „Dritten Reich“ konzipiert. Mein Einführungsvortrag behandelte NS-Literaturpolitik und Zensur sowie die Formen des Umgangs von Literaturschaffenden und Verlegern zwischen Gefolgschaft, Anpassung und Widerstand. In den folgenden Seminarsitzungen setzten wir uns dann konkret mit Strategien und Formen literarischer Camouflage auseinander, mit Techniken ‚verdeckten Schreibens‘ also, die im Sinne des ‚Ideenschmuggels‘ von dissidenten und oppositionellen Schriftstellern genutzt wurden, um den anvisierten Lesern trotz zensorischer Kontrolle regimekritische Botschaften zu vermitteln. Als Beispiel für die im „Dritten Reich“ häufig genutzte historische Camouflage untersuchten wir gemeinsam Textstellen aus Stefan Andres̛ Novelle ‚El Greco malt den Großinquisitor‘ (1936). In wechselnder Folge von Lektüre, Kleingruppenarbeit und Plenumsdiskussion arbeiteten wir heraus, wie Andres durch Analogiebildungen und Farbsymbolik, Anspielungen und Bibelzitate die historisch-konkrete Situation der spanischen Inquisition nutzte, um indirekt die von Unterdrückung und Verfolgung geprägte eigene Gegenwart in kritischer Absicht darzustellen. In einer weiteren Sitzung widmeten wir uns Ernst Jüngers Roman ‚Auf den Marmorklippen‘ (1939). Der apokalyptisch-traumartige Text, der die Vernichtung einer Kulturlandschaft und die Einrichtung einer „Schinderwelt“ durch den „Oberförster“ und sein Gefolge darstellt, arbeitet, wie wir analysierten, mit unterschiedlichen Verfahren der Symbolisierung und Mythisierung, wodurch er sich zugleich als konkrete Bezugnahme auf den Nationalsozialismus wie auch als allgemeine Kritik am Totalitarismus als solchem entziffern lässt. Im abschließenden Vergleich beider Texte beschäftigten uns die Interventionsversuche gegen Jünger seitens der Zensurbehörden, die den Text im Gegensatz zu Andres' Novelle als Kritik auffassten. Anhand von zeitgenössischen Rezeptionszeugnissen arbeiteten wir den grundsätzlich prekären Status ‚verdeckter‘ literarischer Kommunikation heraus, deren erzwungene Indirektheit und ‚Doppelbödigkeit‘ stets Raum für Fehllektüren und Missverstehen lässt. In der Frage nach der Funktion und Wirkung solcher Literatur, konnten wir im Resümee dem Urteil zustimmen, dass ihr, trotz begrenzter direkter Wirkung, dennoch die wichtige Funktion der Befestigung der „humanistischen Front“ (Walter A. Berendsohn) zukam.

Die Lehrerfahrung war durch die überraschend rege Teilnahme der Studierenden und den interessanten und herzlichen Austausch mit Gästen und Lehrenden des Departament durchweg anregend und fruchtbar. Die geknüpften Kontakte könnten in Zukunft den Weg zu einem Workshop oder einer Konferenz bahnen, die sich in international vergleichender Perspektive dem Schreiben und Publizieren unter Diktaturbedingungen widmet.